Umsatzsteuerliche Organschaft bleibt weiter auf dem Prüfstand

Ausgangslage

Der V. und XI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) haben mit zwei aktuellen Entscheidungen vom 18.01.2023 (Az. XI R 29/22) und vom 26.01.2023 (Az. V R 20/22) die Anforderungen an die umsatzsteuerliche Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) – insbesondere in Bezug auf die finanzielle Eingliederung - weiter konkretisiert und zudem ein neues Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet. Gerade Letzteres hat eine gewisse Brisanz für Krankenhauskonzernverbünde, geht es hier doch um die Frage, ob Innenumsätze innerhalb des Organkreises zukünftig ggf. steuerbar sind oder nicht. Beiden Entscheidungen sind bereits zwei Vorab-entscheidungsersuchen vorausgegangen, zu denen der EuGH am 01.12.2022 (C-141/20 und C-269/20) geurteilt hat. Durch die erneute Vorlage des V. Senats befasst sich der EuGH damit zum zweiten Mal mit der richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.

BFH bestätigt Umsatzsteuerschuldnerschaft des Organträgers

Zunächst hat der BFH in dem Verfahren XI R 29/22 die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft als unionsrechtskonform bestätigt. Zweifel hieran waren insbesondere nach den Schlussanträgen der Generalanwältin beim EuGH aufgekommen, die in den beiden o.g. Verfahren von der Steuerschuldnerschaft einer sog. „Mehrwertsteuergruppe“ ausgegangen war. Der EuGH und ihm folgend der BFH sind der Rechtsauffassung der Generalanwältin jedoch in diesem Punkt nicht gefolgt und sehen weiterhin den Organträger als zutreffenden Steuerschuldner, jedenfalls soweit eine Willensdurchsetzung des Organträgers gegeben ist und darüber hinaus keine Gefahr von Steuerausfällen droht. Diese Anforderungen, so der BFH, seien nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung erfüllt, da der BFH schon bisher die Möglichkeit der Willensdurchsetzung verlangt habe und daneben die Organgesellschaft nach § 73 AO für die Umsatzsteuer des Organträgers hafte.

Änderung der Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung

Im Hinblick auf das o.g. Kriterium der Willensdurchsetzung hat der BFH seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung konkretisiert. Für das Bestehen einer Organschaft sei zwar weiter im Grundsatz erforderlich, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zustehe. Die finanzielle Eingliederung liege aber auch dann vor, wenn der Gesellschafter über nur 50% der Stimmrechte verfüge, die erforderliche Willensdurchsetzung bei der Organgesell­schaft aber dadurch gesichert sei, dass er eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft halte und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stelle. Hiernach sei die schwache finanzielle Eingliederung durch eine starke organisatorische Eingliederung „ausgeglichen“.

Klarstellend hat der BFH noch darauf hingewiesen, dass eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen Schwestergesellschaften - ohne Einbeziehung des gemeinsamen Gesellschafters (= Organträger) - nicht zulässig sei.

EuGH muss über Frage der Steuerbarkeit von Innenumsätzen entscheiden

Besonderen Zündstoff birgt demgegenüber das unter dem Az. V R 20/22 geführte Verfahren, in welchem der V. Senat des BFH dem EuGH die Frage vorlegt, ob an der gefestigten BFH-Rechtsprechung hinsichtlich der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen noch festzuhalten sei. Der BFH begründet seine nunmehrigen Zweifel damit, dass der EuGH in den beiden ersten Vorabentscheidungsersuchen zum einen die Organgesellschaft als selbständig ansieht (was einer „nichtsteuerbaren Aktivität“ entgegenstehen könnte) und zum anderen die Organschaft nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen darf. Letzteres könnte zu bejahen sein, wenn der Leistungsempfänger im Organkreis nicht zum (vollen) Vorsteuerabzug berechtigt ist. Insoweit deutet der BFH in Tz. 43 der EuGH-Vorlage eine Abkehr von seiner eigenen Rechtsauffassung bereits selbst an: „Auf dieser Grundlage spricht einiges dafür, dass Innenumsätze – anders als bisher vom BFH angenommen - … steuerbar sind“.

Sollte der EuGH diesem Ansatz folgen, hätte dies weitreichende wirtschaftliche Folgen für Unternehmen, die – wie Krankenhäuser – nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, da bezogene Leistungen (z.B. Reinigungsleistungen der Tochtergesellschaft) zukünftig steuerbar und -pflichtig wären. Mangels Vorsteuerabzug wäre der „Einkauf“ dieser Leistungen daher zukünftig um 19% teurer.

Fazit und Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH die Frage der Steuerbarkeit der Innenumsätze beurteilen wird. Wegen der Vertrauensschutzregelung des § 176 AO dürfte sich jedenfalls keine rückwirkende Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen ergeben. Für die Zukunft wären allerdings Überlegungen über mögliche Alternativgestaltungen angebracht, um eine etwaige wirtschaftliche Belastung im Falle einer Steuerbarkeit der Innenumsätze zu vermeiden. Da hier die Gestaltungsmöglichkeiten freilich begrenzt sind, wäre es je nach Ausgang des EuGH-Verfahrens wünschenswert, wenn der Gesetzgeber und/oder die Finanzverwaltung tätig wird und einen rechtssicheren Rahmen schafft, damit Umsätze innerhalb eines Organkreises auch zukünftig nicht mit Umsatzsteuer belastet werden.