Die umsatzsteuerliche Organschaft – ein steuerlicher „Dauerbrenner“

Das Gestaltungsinstrument der umsatzsteuerlichen Organschaft spielt insbesondere für steuerbegünstigte Krankenhausträger, die im entgeltlichen Leistungsaustausch mit ihren Beteiligungsgesellschaften (z.B. Servicegesellschaften) stehen, eine überaus wichtige Rolle. Ohne (rechtswirksame) Organschaft würden konzerninterne entgeltliche Leistungen auf Ebene der Krankenhausträgergesellschaft wegen der in der Regel fehlenden Vorsteuerabzugsmöglichkeiten zu mitunter erheblichen Umsatzsteuerbelastungen führen.

Unabdingbar für (steuerbegünstigte) Krankenhausverbünde ist daher eine genaue Kenntnis darüber, welche Anforderungen von der Rechtsprechung und Finanzverwaltung an eine (rechtswirksame) umsatzsteuerliche Organschaft gestellt werden. Der nachfolgende Beitrag soll einen aktuellen Überblick geben über die derzeitigen Rechtsentwicklungen im Bereich der umsatzsteuerlichen Organschaft und hierbei insbesondere auch auf aktuell zu beobachtende Tendenzen in der Rechtsprechung des EuGH und des BFH eingehen.

Nationale Rechtsgrundlage für die umsatzsteuerliche Organschaft ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG). Diese Vorschrift knüpft an § 2 Abs. 1 S. 1 UStG an, wonach derjenige Unternehmer ist, der eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestimmt nunmehr, wann eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt wird. Dies ist dann der Fall, wenn eine juristische Person (= Organgesellschaft) nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).

Finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung

Die finanzielle Eingliederung liegt vor, wenn der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft aufgrund Stimmenmehrheit durchsetzen kann. Wirtschaftliche Eingliederung bedeutet, dass die Organgesellschaft in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Organträger tätig ist. Und im Rahmen der organisatorischen Eingliederung muss der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft auch im Rahmen der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrnehmen (vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen auch Abschn. 2.8 Umsatzsteuer-Anwendungserlass).

Alle drei Eingliederungsvoraussetzungen müssen im Einzelfall für jede Organgesellschaft (dauerhaft) vorliegen, damit die steuerlichen Wirkungen bzw. Vorteile der Organschaft in Anspruch genommen werden können. Dies gilt es, regelmäßig und rechtssicher zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen, z.B. bei einem Wechsel in der Geschäftsführung in der Organgesellschaft und/oder beim Organträger oder bei Aufnahme eines neuen Gesellschafters. Anderenfalls, d.h. bei Nicht-Vorliegen der zuvor skizzierten Eingliederungsvoraussetzungen, drohen ggf. empfindlichen Steuernachzahlungen.

Liegen die Eingliederungsvoraussetzungen vor, verliert die Organgesellschaft – automatisch - ihre „umsatzsteuerrechtliche Selbständigkeit“ (ein „Wahlrecht“ besteht nicht); sie ist in umsatzsteuerlicher Hinsicht mithin Teil des Organträgers, was zur Folge hat, dass beispielsweise entgeltliche Leistungen zwischen Organgesellschaft und Organträger als nicht steuerbare („umsatzsteuerlich irrelevante“) Innenumsätze behandelt werden.

Personengesellschaft als Organgesellschaft

In Bezug auf die Organgesellschaft war zuletzt – selbst zwischen den für das Umsatzsteuerrecht zuständigen Senaten des Bundesfinanzhofs (BFH) - ungeklärt, welchen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Personengesellschaft als taugliche Organgesellschaft in Betracht kommt. Der EuGH hat nun in einem aktuellen Urteil vom 15.04.2021 (Az. C-868/19) entschieden, dass eine Personengesellschaft – hier GmbH & Co. KG – finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch auch dann in eine GmbH eingegliedert sein kann, wenn an der GmbH & Co. KG neben der GmbH als Organträger auch andere Gesellschafter beteiligt sind, die wiederum nicht in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind.

Der EuGH widerspricht damit ausdrücklich der - insoweit restriktiveren - Rechtsauffassung des V. Senats des BFH (vgl. z.B. Urteil vom 02.12.2015, Az. V R 25/13), der im Falle einer Personengesellschaft (als Organgesellschaft) eine Eingliederung der weiteren Gesellschafter in das Unternehmens des Organträgers gerade gefordert hatte. Diese – nunmehr wohl überholte – Rechtsprechung des V. Senats hat die Finanzverwaltung auch in den Umsatzsteuer-Anwendungserlass (Abschn. 2.8 Abs. 5a) aufgenommen. Hier dürfte mit einer – hoffentlich zeitnahen - Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses aufgrund der o.g. EuGH-Entscheidung zu rechnen sein.

Insgesamt setzt damit der EuGH seine Rechtsprechung zur Eingliederung von Personengesellschaften nach der sog. „Larentia+Minerva-Entscheidung“ vom 15.04.2015 (Az. C-868/19) konsequent weiter fort, was für den Steuerpflichtigen und Rechtsanwender erfreulicherweise zu mehr Rechtssicherheit führt.

Organträger und Organgesellschaft: Verfolgung derselben steuerbegünstigten Zwecke erforderlich?

Demgegenüber trägt eine weitere aktuelle Entscheidung des V. Senats des BFH vom 27.02.2020 (Az. V R 10/18) leider zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit im Bereich der umsatzsteuerlichen Organschaft bei steuerbegünstigten Einrichtungen bei. Der BFH hat in diesem Urteil, welches nicht zur Veröffentlichung vorgesehen ist und zu einer Zurückverweisung an das erstinstanzliche Finanzgericht geführt hat, darauf hingewiesen, dass eine Eingliederung bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft nur dann „vorstellbar“ sei, wenn die Tochter- bzw. Organgesellschaft dieselben steuerbegünstigten Zwecke verfolge wie die Muttergesellschaft (= Organträger). Verfolgen beide Gesellschaften jedoch unterschiedliche steuerbegünstigte Zwecke, so soll eine Eingliederung, und damit eine umsatzsteuerliche Organschaft, grundsätzlich nicht zulässig sein.

Diese Rechtsauffassung des BFH, die sich auf eine Einzelmeinung in der Literatur aus dem Jahre 2005 stützt, würde das Verständnis der Eingliederungsvoraussetzungen für steuerbegünstigte Körperschaften komplett auf neue Füße stellen. Der BFH begründet seine Rechtsauffassung damit, dass bei einer Eingliederung im o.g. Sinne die tatsächliche Geschäftsführung der Organgesellschaft nicht mehr an der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke, sondern an den Zielen des Organträgers, die wirtschaftlicher Natur sind, orientiert sei. Der BFH verknüpft damit das Gemeinnützigkeitsrecht mit dem Umsatzsteuerrecht, was mindestens diskussionswürdig erscheint (vgl. hierzu auch die Urteilsanmerkung von Hütteman in npoR 2021, S. 46).

Für steuerbegünstigte Krankenhausträger hätte diese Rechtsauffassung des BFH zur Folge, dass beispielsweise eine steuerbegünstigte MVZ-GmbH, deren steuerbegünstigter Zweck die Förderung des Wohlfahrtswesens ist, grundsätzlich nicht als taugliche Organgesellschaft in Betracht kommen kann (sofern nicht der Krankenhausträger ebenfalls das Wohlfahrtswesen als Satzungszweck verankert hat). An dieser Stelle bleibt die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten. Insbesondere sollte aufmerksam verfolgt werden, ob die Finanzverwaltung diese, vom BFH geforderten Einschränkungen im Rahmen der Eingliederung in den Umsatzsteuer-Anwendungserlass aufnimmt. Falls dies erfolgen sollte, wären umgehende Maßnahmen, z.B. im Rahmen der Satzungsgestaltung und ggf. auch der tatsächlichen Geschäftsführung, vorzunehmen.

Nationale Regelung mit EU-Recht vereinbar?

Spannend bleibt auch die weitere Rechtsentwicklung im Zusammenhang mit der Frage, ob die nationale Regelung der umsatzsteuerlichen Organschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG möglicherweise nicht EU-richtlinienkonform durch den deutschen Gesetzgeber umgesetzt wurde. Mit dieser Fragestellung befasst sich aktuell der EuGH aufgrund von zwei Vorlagen des V. und des XI. Senats des BFH (BFH vom 07.05.2020, Az. V R 40/19, sowie BFH vom 11.12.2019, Az. XI R 16/18). Insbesondere der XI. Senat äußerte in seiner Vorlage an den EuGH Bedenken gegen eine richtlinienkonforme Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. Es geht hierbei insbesondere um die Frage, ob die Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG den zutreffenden Steuerpflichtigen (= Organträger) bestimmt oder ob aufgrund der europarechtlichen Grundlage des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL nicht möglicherweise eine – im deutschen Steuerrecht bislang noch nicht vorgesehene – „Mehrwertsteuergruppe“ als eigentlicher Steuerpflichtiger heranzuziehen sei.

Sollte der EuGH hier die Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bejahen und zugleich eine unmittelbare Berufung auf Art. 11 MwStSystRL zulassen, hätte dies weitreichende Auswirkungen auf die deutsche Besteuerungs- und Beratungspraxis. Zahlreiche Bescheide wären möglicherweise rechtswidrig, weil sie den falschen Steuerpflichtigen bezeichnen. Soweit hier keine rechtssichere Klärung durch den EuGH – bzw. durch den deutschen Gesetzgeber - erfolgt, sind (steuerbegünstigte) Krankenhausträger gut beraten, etwaige Bescheide möglichst nicht bestandskräftig werden zu lassen (sofern nicht anderweitige überzeugende Gründe für eine Bestandskraft sprechen sollten).


Hinweis

Abschließend sei bemerkt, dass aktuell auch der nationale Gesetzgeber Überlegungen anstellt, die maßgebliche deutsche Organschafts-Norm – § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG – zu ändern. Insoweit hat das Bundesfinanzministerium hierzu am 14.03.2019 ein Eckpunktepapier zu einer sog. „Gruppenbesteuerung“ in Anlehnung an Art. 11 MwStSystRL veröffentlicht. Ob hier allerdings eine Gesetzesänderung noch vor einer Entscheidung des EuGH zur Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erfolgt (s.o.), erscheint fraglich. Aber auch hier sollte die weitere Rechtsentwicklung genau beobachtet werden.