Gesellschafter-Geschäftsführer eines MVZ und trotzdem sozialversicherungspflichtig?

Eine aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.06.2022 (Az. B 12 R 4/20 R) lässt aufhorchen. Besteht das Risiko, dass Gesellschafter-Geschäftsführer eines MVZ der Sozialversicherungspflicht unterliegen und Beiträge an die jeweiligen Zweige der Sozialversicherung zu entrichten haben?

Der Fall und die Entscheidung

Die Entscheidung des BSG erging zum Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwalts­gesellschaft, d.h. einer besonderen Form der GmbH. Der dortige Gesellschafter-Geschäftsführer könne gemäß § 7 SGB IV abhängig beschäftigt und somit sozialversicherungspflichtig sein, so das Gericht. Die besondere berufliche Unabhängigkeit von Rechtsanwälten – die wie Ärzte und Zahnärzte einen freien Beruf ausüben – stünde dem nicht entgegen. Aufgrund ihrer Position als Geschäftsführer können sie dennoch in funktionsgerechter, dienender Teilhabe am Arbeitsprozess in das Unternehmen eingegliedert sein und im Rahmen der Unternehmenspolitik Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegen. Die Tätigkeit als Rechtsanwalt mit der berufsrechtlich garantierten Unabhängigkeit sei von derjenigen als Geschäftsführer zu trennen, die gerade nicht unter das Berufsrecht fällt.

Diese Entscheidung liegt auf einer Linie der Rechtsprechung des BSG zur berufsrechtlichen (Un-)abhängigkeit von Ärzten in Bezug auf den sozialversicherungsrechtlichen Status. So hat das Bundessozialgericht bereits 2019 entschieden, dass Honorarärzte im Krankenhaus (Urteil vom 04.06.2019, Az. B 12 R 11/18 R) in der Regel eine abhängige Beschäftigung ausüben. 

Praktische Relevanz

Es steht zu vermuten, dass die Rechtsprechung für Gesellschafter-Geschäftsführer eines MVZ gleichermaßen Geltung beanspruchen wird. Die ärztliche Unabhängigkeit bei der Behandlung von Patienten dürfte danach jedenfalls nicht vor der möglichen Annahme einer abhängigen Beschäftigung bei Ausübung der Geschäftsführerfunktion schützen. 

Für Gesellschafter-Geschäftsführer von MVZ stellt dies ein erhebliches Risiko einer Nachzahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung dar. Es besteht zudem die Gefahr von Säumniszuschlägen gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV .

Die Verjährung beträgt gemäß § 25 Abs. 1 SGB IV vier Jahre, bei Vorsatz sogar 30 Jahre. Zudem droht eine strafrechtliche Verfolgung wegen der Vorenthaltung von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB.

Empfehlung

Die Sozialversicherungspflicht ist von der gesellschaftsrechtlichen Struktur (GmbH, PartG, GbR), Gestaltung des Gesellschaftsvertrages und den Umständen der Geschäftsführung abhängig. Hier sollten die bestehenden Strukturen und vertraglichen Regelungen angesichts der aktuellen Entwicklung in der Rechtsprechung geprüft und ggf. angepasst werden.

Bei in der Vergangenheit erfolgten Gestaltungen, die sich jetzt als problematisch darstellen, empfiehlt sich eine proaktive Vorgehensweise, um eine wirtschaftlich negative Entwicklung für die Zukunft zu vermeiden und einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung sowie berufsrechtlichen Folgewirkungen (z.B. hinsichtlich der Approbation) zu begegnen.

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