In dieser Angelegenheit tritt zunehmend Verwirrung anstatt Klärung auf, da nach wie vor noch nicht geklärt ist, ob die Abgabe von Fertigarzneimitteln als umsatzsteuerfrei zu behandeln ist oder ob der ermäßigte USt-Satz zur Anwendung kommt, sofern die Abgabe von Fertigarzneimitteln bei gemeinnützigen Krankenhausträgern aus dem Zweckbetrieb erfolgt. Nach aktuellem Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) an die DKG dauern die Beratungen der Finanzverwaltungen über die umsatzsteuerliche Bewertung von Fertigarzneimittellieferungen an.
Seit mehreren Jahren ersuchen Kassen- und Krankenhausgesellschaften das BMF um eine Stellungnahme zur umsatzsteuerlichen Handhabung der ambulanten Abgabe von Fertigarzneimitteln. Erst am 10.06.2022 hat das BMF dann auf eine Anfrage einer Kanzlei ein Schreiben an diese Kanzlei abgesetzt, in der das BMF seine Sichtweise zur Auslegung des geltenden UStAE darlegt. Danach sei aus Sicht des BMF seit 2015 der ermäßigte Steuersatz anzuwenden, wenn die ambulante Arzneimittelabgabe im Rahmen des Zweckbetriebs eines gemeinnützigen Krankenhausträgers erfolgt. Gleichzeitig ließ das BMF in diesem Schreiben allerdings offen, ob die ambulante Abgabe von Fertigarzneimitteln überhaupt umsatzsteuerpflichtig ist.
Auf Nachfrage der DKG beim BMF, der dieses Schreiben von Krankenkassenseite zur Verfügung gestellt wurde, wie das Schreiben zu werten sei, da es nicht veröffentlicht wurde und auch die Frage der Umsatzsteuerpflicht (bewusst) offengelassen hat, hat das BMF nun mit Schreiben vom 11.07.2022 geantwortet. In diesem Schreiben verwies das BMF auf die noch andauernden Beratungen zur umsatzsteuerlichen Einordnung von ambulanten Arzneimittelabgaben, betonte allerdings auch, dass das Schreiben vom 10.06.2022 keine Allgemeinverbindlichkeit habe und dem BMF auch bewusst sei, dass die im Schreiben vom 10.06.2022 gegenüber der Kanzlei erfolgte (einzelfallbezogene) Interpretation der Erlasslage nicht unbedingt deckungsgleich sei mit der Anwendungspraxis der Finanzämter.
Aus Gründen der Vorsicht hatten die meisten Krankenhausträger die ambulante Abgabe von Fertigarzneimitteln grundsätzlich zum Regelsteuersatz gemeldet/erklärt.
Vor dem Hintergrund der nun (wenn auch nicht durch das BMF veröffentlichten) anderweitig bekannt gewordenen Schreiben vom 10.06.2022 und vom 11.07.2022 stellt sich nun natürlich die Frage, ob Krankenhausträger nun verpflichtet sind, (rückwirkend) den ermäßigten Steuersatz zur Anwendung zu bringen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehen zudem den Krankenkassen regelmäßig (unabhängig von der Veranlagungssituation des Krankenhauses) Umsatzsteuer-erstattungsansprüche zu, wenn und soweit die Erlasslage geklärt ist und das Krankenhaus „einfach und risikolos“ eine entsprechende Umsatzsteuererstattung gegen das zuständige Finanzamt durchsetzen könnte.
Erlasslage geklärt?
Ob die Erlasslage nun aufgrund der beiden Schreiben vom 10.06.2022 und vom 11.07.2022 als „geklärt“ angesehen werden kann und ob die Krankenhausträger auf dieser Grundlage nun tatsächlich „einfach und risikolos“ die (rückwirkende) Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erwirken können, ist noch nicht gerichtlich geklärt. Gegen eine „einfache und risikolose“ Durchsetzung gegenüber dem zuständigen Finanzamt spricht hier allerdings die inzwischen rechtskräftige Entscheidung des FG Sachsen-Anhalt vom 20.10.2021 (Az. 3 K 1024/17), die – abweichend vom geltenden UStAE – von einer Umsatzsteuerfreiheit von ambulanten Fertigarzneimitteln ausgeht, wenn die Abgabe in enger Verbindung zu einer ärztlichen Heilbehandlung steht.
Ein weiteres praktisches Problem bereitet zudem der Verweis des BMF auf aktuelle Beratungen der Finanzverwaltung zur umsatzsteuerlichen Handhabung. Bereits die Möglichkeit einer alsbaldigen Änderung der Rechtsauffassung des BMF zur Umsatzsteuerpflicht der ambulanten Abgabe von Fertigarzneimitteln wird einzelne Finanzämter möglicherweise davon abhalten, vor einer offiziellen Verlautbarung des BMF einer rückwirkenden Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zuzustimmen und entsprechend geänderte Bescheide zu erlassen.
Aus Gründen der Vorsicht ist allerdings zu empfehlen, mit dem zuständigen Finanzamt Kontakt aufzunehmen, um in Erfahrung zu bringen, wie das jeweils zuständige Finanzamt sich hierzu positioniert. Abhängig von der (offiziellen oder inoffiziellen) Auskunft des zuständigen Finanzamtes sollte dann das weitere Vorgehen mit den steuerlichen Beratern abgestimmt werden.
Die Entwicklungen in den letzten Monaten sowie insbesondere das aktuelle Schreiben des BMF vom 11.07.2022 an die DKG geben insbesondere den gemeinnützigen Krankenhäusern mit einer Krankenhausapotheke nun aktuell Anlass, die bisherige Praxis zu überprüfen und ggf. an das örtliche Finanzamt heranzutreten, da mit den Krankenkassen mit älterer Vertragslage (vdek-Krankenkassen) generell mit 19 % USt abgerechnet wird. Vor dem Hintergrund, dass den Krankenkassen aufgrund der (damals jedenfalls) objektiv unklaren Erlasslage derzeit keine Erstattungsansprüche zustehen, hat nun Herr Dr. Obermair (BMF vom 10.06.2022) das Schreiben einer Anwaltskanzlei (Klägervertreterin) zum Anlass genommen, die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der ambulanten Abgabe von Arzneimitteln durch gemeinnützige Krankenhausträger im Kreis der Referatsleiter Umsatzsteuer mit den Ländern zu erörtern. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder hätten daraufhin beschlossen, dass, soweit es sich um eine steuerpflichtige Lieferung von Arzneimitteln innerhalb des Zweckbetriebs eines Krankenhauses nach § 67 AO handelt, auf diese Lieferung der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a UStG anzuwenden sei. Der Beschluss sei nur deklaratorischer Natur. Er beschreibe nur die sowohl derzeit als auch bereits in der Vergangenheit nach den Regelungen des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) geltende Rechtslage.
Daher ist dringend angeraten, vor dem in Kürze zu erwartenden BMF-Schreiben an die Finanzverwaltung heranzutreten und mit einer „einfachen und risikolosen Durchsetzung“ den ermäßigten Umsatzsteuersatz gewährt zu bekommen, damit die Krankenkassen eben einen solchen Vorwurf nicht erheben können. Weiter ist zu empfehlen, alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungszeiträume offen zu halten.
BSG-Urteile vom 18.08.2022
Für den Fall, dass das sich BMF – was nicht unwahrscheinlich ist – der Rechtsauffassung des FG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 20.10.2021, a.a.O.) anschließt und auch die ambulante Abgabe von Fertigarzneimitteln als umsatzsteuerfreie Umsätze ansieht, wenn die Abgabe in enger Verbindung zu einer ärztlichen Heilbehandlung steht, ist auch auf die jüngsten Entscheidungen des BSG vom 18.08.2022 hinzuweisen, die BDO Legal, gemeinsam mit den Kollegen der Vierhaus Steuerberatungsgesellschaft (Berlin), erfreulicherweise erstreiten konnte: Das BSG hat am 18.08.2022 über zwei Revisionen gegen Entscheidungen des LSG Rheinland-Pfalz vom 18.02.2022 (Az. L 5 KR 161/18) und vom 01.07.2021 (Az. L 5 KR 22/20) entschieden (Az. B 1 KR 30/21 R; B 1 KR 13/21 R). In beiden Urteilen hatte das LSG die dortigen § 129a SGB V-Verträge dahingehend ergänzend ausgelegt, dass hinsichtlich der Umsatzsteuer auf die patienten-individuellen Zubereitungen nur ein Rückerstattungsanspruch in Höhe der Steuer, die auf die Herstellungspauschalen entfallen ist, bestehe.
Zunächst hat der 1. Senat des BSG zu seinem Prüfungsumfang bei Vergütungsabreden Stellung genommen und (in Abstimmung mit dem 3. Senat) festgestellt, dass die gerichtliche Auslegung von Vergütungsabreden (insb. Verträge nach § 129a SGB V) grundsätzlich nur eingeschränkt vom BSG überprüft werden könne, wenn diese Verträge ausschließlich innerhalb eines einzigen LSG-Bezirks (Bundesland) zur Anwendung gekommen seien. In diesem Fall beschränke sich die Prüfungskompetenz des BSG auf die (grobe) Verletzung der allgemeinen Auslegungsregeln nach §§ 133, 157 BGB. Insbesondere sei dann zu prüfen, ob die Auslegung des LSG gegen Denkgesetze verstoße und der Grundsatz von Treu und Glauben beachtet worden sei.
Dies vorausgeschickt, ist der Senat erfreulicherweise unserer Rechtsauffassung gefolgt, dass die Vertragsauslegung des LSG Rheinland-Pfalz in den angegriffenen Entscheidungen keine Rechtsfehler erkennen lässt.
Eine nachträgliche Veränderung der Erlasslage (mit einfacher und risikoloser Durchsetzung von USt-Erstattungsansprüchen gegen das Finanzamt) begründete in den streitgegenständlichen Fällen also dem Grunde nach einen vertraglichen Erstattungsanspruch der Krankenkassen, die Vorsteuer war aber nicht anhand der tatsächlich angefallenen Vorsteuer, sondern vielmehr anhand der vertraglich zugrunde gelegten Apothekeneinkaufspreise (AEK), nach Abzug der vertraglich vereinbarten Rabatte, zu ermitteln. Dementsprechend ergebe sich ein USt-Erstattungsanspruch der Krankenkassen ausschließlich in Bezug auf die Zubereitungspauschalen, nicht für die Arzneimittelpreise (berechnete USt = Vorsteuer).
Das BSG hat zwar darauf hingewiesen, dass grundsätzlich auch andere Auslegungsmöglichkeiten denkbar wären, die einer Revision standhalten könnten, die konkret streitgegenständliche Auslegung des LSG Rheinland-Pfalz sei jedoch nach dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab des BSG bei regional begrenzten Vertragsregelungen nicht zu beanstanden.
Im Ergebnis könnte also, abhängig von der konkreten Vertragslage (§ 129a SGB V), ein Umsatzsteuererstattungsanspruch der gesetzlichen Krankenkassen auch in weiteren Fällen auf 0 € reduziert sein, wenn die maßgeblichen vertraglichen Regelungen (im Wesentlichen) den § 129a SGB V-Verträgen entsprechen, die Gegenstand der vorgenannten Entscheidungen waren.
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