Wie weit reicht das Aufrechnungsverbot der Krankenkassen? BSG wird entscheiden

Problemstellung

§ 109 Abs. 6 SGB V bestimmt „Gegenforderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1. Januar 2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind, können Krankenkassen nicht mit Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen aufrechnen. Die Aufrechnung ist abweichend von Satz 1 möglich, wenn die Forderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird oder rechtskräftig festgestellt wurde. In der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes können abweichende Regelungen vorgesehen werden.“

Die Rechtsfrage, mit der sich der 1. Senat des Bundessozialgerichts demnächst beschäftigen muss, ist die, ob die in der Übergangsvereinbarung zur Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) enthaltenen Regelungen zur Aufrechnungsbefugnis der Krankenkassen mit dem oben genannten grundsätzlichen Aufrechnungsverbot (§ 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V) vereinbar sind. Denn in der Übergangsvereinbarung, die am 10.12.2019 zwischen dem GKV-Spitzenverband und der deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossen wurde, regelt Art. 1, dass bei Patienten, die ab dem 01.01.2020 in ein Krankenhaus aufgenommen werden, die Aufrechnungsregeln des § 10 PrüvV weiterhin Anwendung finden. Und diese sehen vor, dass eine Aufrechnung seitens der Krankenkasse auch dann zulässig ist, wenn der Erstattungsanspruch der Krankenkasse streitig ist.

Auch wenn die Übergangsvereinbarung mit dem Inkrafttreten der neuen PrüfvV seit dem 01.01.2022 außer Kraft ist, hat die Frage der Aufrechnungsmöglichkeiten der Krankenkassen nicht an Aktualität verloren.

SG Nürnberg, Urteil vom 29.03.2023 (Az. S 2 KR 326/22)

Gegenstand des Verfahrens, das inzwischen beim BSG anhängig ist (Az. B 1 KR 18/23 R), ist die Erstattung von Krankenhauskosten, welche die Krankenkasse gegen die Trägerin eines Krankenhauses aufgerechnet hat. Das SG Nürnberg entschied, dass die Krankenhausträgerin einen Anspruch auf Zahlung der Vergütung in der beantragten Höhe habe, weil die von der Krankenkasse vorgenommene Aufrechnung unwirksam gewesen sei.

Richtig sei zwar, dass jeder Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen seine Forderung gegen die Forderung eines anderen Teils aufrechnen könne (§ 387 BGB) und diese Grundsätze analog auch auf Erstattungsstreitigkeiten zwischen Krankenkasse und Krankenhaus anwendbar seien, so das Gericht. Allerdings dürften dem keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen. Und genau ein solches Aufrechnungsverbot sieht das SG Nürnberg in der Bestimmung des § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V, die bereits existierte, als die Krankenkasse die Aufrechnung erklärte.

Da sich die Krankenkasse auch nicht auf das Bestehen eine der in § 109 Abs. 6 Satz 2 SGB V bestimmten Ausnahmen (unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Forderung) berufen könne, bleibe es bei dem Aufrechnungsverbot. Zwar lasse es § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V ausdrücklich zu, in der Vereinbarung nach § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG (gemeint ist die PrüfvV) abweichende Regelungen vorzusehen. Nicht mit dem in Satz 1 des § 109 Abs. 6 SGB V vorgesehenen Aufrechnungsverbot vereinbar sei allerdings eine vertragliche Vereinbarung, die das ab dem 01.01.2020 bestehende gesetzliche Aufrechnungsverbot generell aushebele. 
 

Hinweis

Wann das Bundessozialgericht entscheidet, war bei Redaktionsschluss noch offen.