Bislang konnten Arbeitgeber Forderungen von Betriebsräten zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung in der Regel unter Verweis auf die – wenngleich ältere – Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts (BAG) erfolgreich zurückweisen (vgl. BAG, Urt. v. 18.11.1989 – 1 ABR 97/88). Aufgrund einer neueren Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm könnte sich dies nunmehr ändern (vgl. LAG Hamm, Beschl. v. 27.7.2021 – 7 TaBV 79/20).
Hintergrund
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Seit längerer Zeit wird darüber diskutiert, ob dem Betriebsrat insoweit ein Initiativrecht zusteht, d.h. ob auch der Betriebsrat – und nicht nur der Arbeitgeber – die Initiative für eine erstrebte Regelung ergreifen und zu deren Herbeiführung ggf. die Einigungsstelle anrufen kann.
Bislang wird im Hinblick auf die Einführung von technischen Einrichtungen im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein solches Recht des Betriebsrats in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Fachliteratur ganz überwiegend abgelehnt. Denn Hintergrund der Regelung sei, dem Betriebsrat ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter zuzusprechen. Dem widerspräche es, wenn der Betriebsrat gerade die Einführung einer entsprechenden technischen Einrichtung verlangen könnte.
Sachverhalt
In dem zu beurteilenden Fall des LAG Hamm hatten die Arbeitgeberinnen – Betreiber einer vollstationären Wohneinrichtung im Rahmen der Eingliederungshilfe – und der Betriebsrat über mehrere Monate hinweg Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung geführt. Eine Einigung kam nicht zustande und die Arbeitgeberinnen entschlossen sich daraufhin, auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zu verzichten, obwohl hierfür erforderliche Hardware bereits angeschafft worden war. Als der Betriebsrat daraufhin gerichtlich die Einsetzung einer Einigungsstelle zum „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ durchsetzte, rügten die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit, da ein Initiativrecht des Betriebsrats bei Einführung von technischen Einrichtungen i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht bestehe. Daher könne der Betriebsrat auch nicht die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung erzwingen. Die Einigungsstelle beschloss daraufhin, dass Einigungsstellenverfahren auszusetzen und diese Frage gerichtlich klären zu lassen.
Entscheidung
Während das Arbeitsgericht Minden in erster Instanz ein Initiativrecht unter Berufung auf die bisherige BAG-Rechtsprechung verneinte (vgl. ArbG Minden, Beschl. v. 15.9.2020 – 2 BV 8/20), hat das LAG Hamm diese Entscheidung überraschend abgeändert und in Abkehr von der bislang herrschenden Auffassung ein Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung bejaht.
Begründet hat das LAG Hamm dies zunächst mit dem Wortlaut des Eingangssatzes von § 87 Abs. 1 BetrVG („mitzubestimmen“) und der Eingangsformulierung von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG („Einführung“). Mitbestimmung im Wortsinn beschreibe das Recht auf Mitgestaltung im Sinne gleichwertiger Verhandlungspartner. Die Ausübung der Mitbestimmung als reines Vetorecht komme mithin nicht in Betracht. Dementsprechend entspreche es der „übereinstimmenden Auffassung“ in Rechtsprechung und Literatur, dass im Sinne eines Mitgestaltungsrechts grundsätzlich auch dem Betriebsrat die Initiative zukommen könne, in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen. Hierfür spreche auch, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten bewusst nicht zwischen Mitbestimmungsrechten mit und ohne Initiativrecht unterschieden habe. Vielmehr habe der Gesetzgeber Einschränkungen der Mitbestimmung in der Weise vorgenommen, dass er einzelne Mitbestimmungsrechte – wie z.B. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG betreffend Sozialeinrichtungen – so formuliert habe, dass dort lediglich Form-, Ausgestaltung und deren Verwaltung mitbestimmungspflichtig seien, woraus sich ergebe, dass bei § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ein Initiativrecht nicht bestehe. Eine solche Einschränkung finde sich in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gerade nicht, vielmehr sei dort ausdrücklich die „Einführung“ beschrieben, was für ein Initiativrecht streite.
Fazit
Im Ergebnis ist der Entscheidung des LAG Hamm zu widersprechen. Das “Ob” der Einführung technischer Einrichtungen muss dem Arbeitgeber als mitbestimmungsfreie unternehmerische Entscheidung vorbehalten bleiben. Ein diesbezügliches Initiativrecht des Betriebsrats erweiterte das Mitbestimmungsrecht in unzulässiger Weise.
Gegen die Entscheidung des LAG Hamm wurde Rechtsbeschwerde beim BAG eingelegt (1 ABR 22/21). Aus Arbeitgebersicht bleibt zu hoffen, dass das BAG seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 1989 treu bleibt und eine extensive Auslegung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG weiterhin verneint. Anderenfalls könnten sich Arbeitgeber einer Vielzahl von Betriebsratsinitiativen zur Einführung von technischen Einrichtungen ausgesetzt sehen.
Wir halten Sie selbstverständlich auf dem Laufenden und beraten Sie gerne bei der Gestaltung Ihrer Arbeitszeitmodelle sowie der Einführung von Arbeitszeiterfassungsystemen.
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