Krankenhausträger sind dazu verpflichtet, Diagnostik, Therapie und Nachbehandlung so zu organisieren, dass jede vermeidbare Gefährdung der Patienten ausgeschlossen ist. Erforderlich ist daher z.B. eine Regelung, die sicherstellt, dass auch von nichtärztlichem Personal erhobene Befunde dem verantwortlichen Arzt zur Befundung vorgelegt werden. Wird gegen eine entsprechende Weisung verstoßen, so muss kein Organisationsverschulden des Krankenhausträgers vorliegen. Was bleibt ist jedoch der Verstoß auf Seiten des Krankenhauspersonals, der am Ende zu einer Haftung des Krankenhausträgers führen kann. Dies zeigt das aktuelle Urteil des OLG München vom 06.08.2020 (Az. 24 U 1360/19) auf eindrückliche Weise.
Der Fall
Die Klägerin war wegen einer hypertensiven Entgleisung notfallmäßig in das Krankenhaus der Beklagten eingeliefert und auf der Intensivstation aufgenommen worden. Dort wurde unverzüglich ein Ruhe-EKG angefertigt und die Klägerin medikamentös eingestellt. Am Morgen des darauffolgenden Tages wurde vom nichtärztlichen Personal der Beklagten erneut ein solches EKG angefertigt, und zwar ohne ärztliche Anordnung und ohne medizinische Indikation. In der Pflegekurve der Klägerin wurde die Anfertigung des EKGs nicht vermerkt. Kurze Zeit später erfolgte die Visite bei der Klägerin durch den zuständigen Oberarzt der Beklagten. Von dem zuvor erstellten EKG wusste er nichts, so dass die Befundung unterblieb. Aufgrund der ihm vorliegenden Informationen und des klinischen Eindrucks von der Klägerin ließ er die Klägerin auf die Normalstation verlegen. Weiter verordnete er die Gabe des Wirkstoffs Doxepin, den die Klägerin dann auch erhielt. Keine 24 Stunden später erlitt die Klägerin einen Herz-Kreislauf-Stillstand und musste reanimiert werden. Die Folge sind ein schwerer Hirnschaden und die vollständige Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad 5) der Klägerin. Wegen ärztlicher Falschbehandlung zog die Klägerin vor das Landgericht Kempten und machte dort entsprechende Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegenüber der Beklagten geltend. Das Landgericht wies die Klage ab (Urteil vom 28.02.2019, Az. 32 O 1228/12). Die hiergegen eingelegte Berufung führte zur Aufhebung des Urteils und Verurteilung der beklagten Krankenhausträgerin.
Die Entscheidung
Das OLG München kam nach entsprechender Beweisaufnahme zu dem Schluss, dass die Klägerin aufgrund des Ergebnisses des zweiten EKGs nicht nur weiterhin intensivmedizinisch hätte behandelt werden müssen. Vielmehr war die Verabreichung von Doxepin angesichts des Untersuchungsergebnisses absolut kontraindiziert. Da der zuständige Oberarzt von diesem EKG jedoch keine Kenntnis hatte, als er die Verlegung auf die Normalstation anordnete und die Gabe von Doxepin verschrieb, war ein der Krankenhausträgerin zuzurechnender ärztlicher Behandlungsfehler zu verneinen. Auch ein Organisationsfehler war der Beklagten nicht nachzuweisen. Allerdings, so das Berufungsgericht, habe die betreffende Pflegekraft gegen die mündlich erteilte Weisung verstoßen, das noch nicht befundete EKG vorne in die Patientenakte zu legen. Ebenso weisungswidrig habe sie die Anfertigung des EKGs nicht in der Patientenakte vermerkt, so dass für den zuständigen Oberarzt nicht erkennbar war, dass ein aktuelles EKG vorlag. Dieses fahrlässige Verhalten der Krankenschwester muss sich die Klinikträgerin im Rahmen ihrer Haftung für von ihr eingesetzte Erfüllungs– beziehungsweise Verrichtungsgehilfen zurechnen lassen (§§ 278, 831 BGB). Auch die erforderliche Kausalität zwischen dem Verstoß und dem Herz-Kreislauf-Stillstand der Klägerin sei gegeben, da das verabreichte Doxepin für diesen Stillstand jedenfalls mitursächlich war. Überdies wäre die Patientin bei ordnungsgemäßem Verhalten der Pflegekraft auf der Intensivstation verblieben. Zwar hätte es auch dann zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand kommen können. Hinsichtlich des Hirnschadens sei es jedoch nicht unwahrscheinlich, dass eine Wiederbelebung der Klägerin auf der Intensivstation in einem kürzeren Zeitraum möglich gewesen wäre, so dass keine schwereren Schäden aufgetreten wären.
Weiter entschied das OLG München, dass das Fehlverhalten der Pflegekraft so schwer wiege, dass der Klägerin die in § 630h Abs. 5 BGB normierte Beweislastumkehr, die bei groben Behandlungsfehlern greift, hinsichtlich der Kausalität zugutekomme. Angesichts der tatsächlichen Verhältnisse auf der Intensivstation an dem betreffenden Tag sei es unverständlich, dass das EKG weder rechtzeitig zu der circa 90 Minuten später erfolgenden Visite des Oberarztes oben in die Patientenakte gelegt noch die Fertigung des EKGs in der Patientenakte vermerkt worden sei. Nach Ansicht des Senats liegt damit ein eindeutiger, fundamentaler Verstoß gegen die interne Regelung des Krankenhauses vor, die zum Schutz der Patienten eine zeitnahe Befundung erhobenen Befunde gewährleisten soll, der einer Pflegekraft schlechterdings nicht unterlaufen darf.
Fazit
Das Urteil zeigt, dass fahrlässiges Fehlerhalten einer Pflegekraft bereits dann zur Haftung des Krankenhausträgers führt, wenn es für den eingetretenen Schaden lediglich mitursächlich war.
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