EuGH: Recht des Patienten auf eine kostenlose erste Kopie der Behandlungsunterlagen? Schlussanträge des Generalanwalts liegen vor

Im März 2022 setzte der BGH ein Verfahren aus, in dem es zum einen um die Reichweite des unionsrechtlichen Anspruchs des Patienten gegen den behandelnden Arzt auf kostenfreie Zurverfügungstellung einer ersten Kopie seiner in der Patientenakte verarbeiteten personenbezogenen Daten und zum anderen um die Frage der Zulässigkeit einer Beschränkung dieses Anspruchs durch die in § 630g BGB getroffene Regelung geht, und legte die entsprechenden Fragen dem EuGH zur Entscheidung vor. Jetzt ist Bewegung in das Verfahren gekommen.

Seit 2013 bestimmt § 630g BGB, dass dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in seine vollständige Patientenakte zu gewähren ist, es sei denn, dem stehen erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegen. Er kann auch elektronische Abschriften der Patientenakte verlangen. In jedem Fall allerdings hat er dem Behandelnden die dabei entstehenden Kosten zu erstatten. Rechtlich ungeklärt ist bis zum heutigen Tag, ob sich diese Vorschrift mit den Vorgaben der einige Jahre später in Kraft getretenen Datenschutz Grundverordnung (DS-GVO) vereinbaren lässt. Art. 15 DS-GVO, der auch Daten in Patientenakten erfasst, kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Nach dieser Bestimmung hat die betroffene Person (Patient) ein Auskunftsrecht und kann dazu Kopien der personenbezogenen Daten verlangen, wobei die erste Kopie kostenlos ist. Für alle weiteren Kopien darf ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten berechnet werden (Art. 15 Abs. 3 DS-GVO).

Vorabentscheidungsersuchen des BGH (Rechtssache C-307/22)

Mit Beschluss vom 29.03.2022 (Az. VI ZR 1352/20) setzte der BGH ein Verfahren aus, in dem es zum einen um die Reichweite des unionsrechtlichen Anspruchs des Patienten gegen den behandelnden Arzt auf kostenfreie Zurverfügungstellung einer ersten Kopie seiner in der Patientenakte verarbeiteten personenbezogenen Daten und zum anderen um die Frage der Zulässigkeit einer Beschränkung dieses Anspruchs durch die in § 630g BGB getroffene Regelung geht, und legte die entsprechenden Fragen dem EuGH zur Entscheidung vor.  

Zwar gibt es noch kein Urteil des EuGH in dieser Angelegenheit. Gleichwohl ist vor kurzem Bewegung in das Verfahren (Rechtssache C-307/22) gekommen. Denn seit dem 20.04.2023 liegen die Schlussanträge des Generalanwalts vor.

Schlussanträge des Generalanwalts vom 20.04.2023

Im Ergebnis schlägt der Generalanwalt vor, die vom BGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.  Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 3 DS-GVO seien dahin auszulegen, dass der Verantwortliche (z.B. Arzt) verpflichtet ist, der betroffenen Person (Patient) eine Kopie ihrer personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Auskunft für die in Nr. 63 der Erwägungsgründe der DS-GVO genannten Zwecke benötigt wird oder für einen anderen datenschutzfremden Zweck verlangt wird.

2.  Des Weiteren vertritt der Generalanwalt die Ansicht, dass eine nationale Regelung – und damit spricht er § 630g BGB an - die von Patienten verlangt, dass sie den Ärzten die entstandenen Kosten erstatten, mit der DS-GVO vereinbar ist, sofern die Beschränkung des Auskunftsrechts unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände im Hinblick auf die Ziele des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der unternehmerischen Freiheit der Ärzte erforderlich und verhältnismäßig ist. Dabei habe das nationale Gericht insbesondere zu prüfen, ob die Kosten, deren Erstattung die Ärzte von den Patienten verlangen können, strikt auf die tatsächlich anfallenden Kosten beschränkt sind.

3.  Schließlich führt der Generalanwalt aus, dass Art. 15 Abs. 3 DS-GVO im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses nicht dahin ausgelegt werden könne, dass er der betroffenen Person (Patient) ein allgemeines Recht darauf gewähre, eine vollständige Kopie aller in ihrer Patientenakte enthaltenen Dokumente zu erhalten. Jedoch habe der Verantwortliche (z.B. Arzt) der betroffenen Person bestimmte Dokumente teilweise oder vollständig in Kopie zur Verfügung zu stellen, wenn dies erforderlich sei, um sicherzustellen, dass die übermittelten Daten verständlich sind und dass die betroffene Person in der Lage ist, zu überprüfen, ob die übermittelten Daten vollständig und richtig sind.

Hinweis

Nur wenige Tage später urteilte der EuGH in drei anderen Vorabentscheidungsersuchen zum Thema DS-GVO. Die Entscheidungen, die sich u.a. mit Schadensersatzansprüchen wegen Verstoßes gegen die DS-GVO befassen, dürfen durchaus als bedeutend bezeichnet werden. Auch wenn es in keinem der Fälle um ein Arzt-Patienten-Verhältnis geht, dürfte der EuGH, der ein recht weites Verständnis des Begriffs der „Kopie“ in Art. 15 DS-GVO zugrundelegt, damit auch die Richtung für das oben dargestellte Verfahren anzeigen, Der EuGH entschied: „Das Recht, eine „Kopie“ der personenbezogenen Daten zu erhalten, bedeutet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten ausgefolgt wird“ (Pressemitteilung zum Urteil vom 04.05.2023, Rechtssache C-487/22).