Rechtliche Ausgangslage:
Seit dem 20.10.2021 liegt ein Urteil des Finanzgerichts Sachsen-Anhalt (3 K 1024/17) vor, wonach die Abgabe von nicht individuell hergestellten Medikamenten, die im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung verabreicht werden, einen mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsatz darstellt und damit nach § 4 Nr. 14 b UStG umsatzsteuerfrei ist. Das Urteil stand im Widerspruch zu der bisherigen Verwaltungsauffassung in Abschnitt 4.14.6. Abs. 3 Nr. 4 UStAE, wonach die Abgabe von nicht individuell hergestellten Medikamenten, die im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung verabreicht werden, umsatzsteuerpflichtig ist.
Die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung widersprach auch der EuGH-Rechtsprechung aus dem Jahr 2005 (Az.: C-394/04 und C-395/04), wonach Dienstleistungen, die naturgemäß im Rahmen von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen erbracht werden und im Prozess der Erbringung dieser Dienstleistungen zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich sind, „eng verbundene Umsätze“ im Sinne der Richtlinienvorschrift – Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL (jetzt: Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) – darstellen.
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL müssen Mitgliedstaaten Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie die damit eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden, von der Umsatzsteuer befreien.
Änderung der Verwaltungsauffassung mit dem BMF-Schreiben vom 13.12.2022
In einem neuen BMF-Schreiben hat das Bundesfinanzministerium festgestellt, dass nun auch die Abgabe von nicht patientenindividuell hergestellten Medikamenten durch eine Krankenhausapotheke, die einen integralen Bestandteil einer Therapie darstellen, als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG von der Umsatzsteuer zu befreien ist.
Therapeutische Unentbehrlichkeit erforderlich
Voraussetzung für die Annahme eines eng mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Umsatzes des Krankenhauses durch dessen Krankenhausapotheke ist demnach, dass die Verabreichung der Medikamente im Zeitpunkt der Erbringung der ärztlichen Leistung im Rahmen der ambulanten Behandlung eines Patienten zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich ist. Eine therapeutische Unentbehrlichkeit der Medikamentengabe liegt dann vor, wenn diese im Zusammenhang mit der ärztlichen Therapie erfolgt, und die Therapie lediglich dann erfolgversprechend ist, wenn es zu einer Medikamentengabe dieses konkreten Medikaments bei der Behandlung kommt. Hierfür ist die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der konkreten Behandlung maßgeblich. Unter dieser Voraussetzung kann auch eine Begleitmedikation begünstigt sein, wie beispielsweise die Abgabe von Präparaten, die eventuelle Nebenwirkungen eines Medikaments verhindern oder verringern sollen.
Die Abgabe von (Fertig-)Medikamenten kann zudem eine unselbständige Nebenleistung zu der nach § 4 Nr. 14 Buchst. a oder b UStG umsatzsteuerfreien Heilbehandlungsleistung darstellen.
Folglich wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass entsprechend geändert. Insbesondere wird Abschnitt 4.14.6 Abs. 3 Nr. 4 UStAE gestrichen, wonach die Abgabe von nicht individuell hergestellten Medikamenten, die im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung verabreicht werden, umsatzsteuerpflichtig war.
Anwendung des BMF-Schreibens vom 13.12.2022 auf die sog. Neu- und Altfälle
Die Neuregelung ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Für Umsätze ab dem 01.01.2023 liegt eine umsatzsteuerfreie Medikamentenlieferung unter den entsprechenden Voraussetzungen vor; ein Vorsteuerabzug nach § 15 UStG ist insofern ausgeschlossen.
Für Umsätze, die vor dem 01.01.2023 ausgeführt wurden, sieht das BMF folgende Übergangsregelung vor: Die Abgabe von Medikamenten durch Krankenhausapotheken für die Behandlung eigener Patienten kann der Altregelung entsprechend umsatzsteuerpflichtig behandelt werden. Wenn es sich hierbei um Umsätze im Rahmen eines Zweckbetriebes nach § 67 AO eines steuerbegünstigten Krankenhausträgers handelt, ist auf diese Lieferungen der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG anzuwenden.
Aus den damit zusammenhängenden Eingangsleistungen kann unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Für eine ggf. notwendige Rechnungskorrektur wird auf § 14 c Abs. 1 UStG verwiesen.
Fazit
Bei der Beurteilung, ob die Abgabe von Medikamenten im Rahmen einer ambulanten Behandlung durch eine Krankenhausapotheke einen nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG steuerfreien mit der Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsatz darstellt, ist auf die Unentbehrlichkeit des Medikaments für den Therapieerfolg abzustellen und nicht mehr darauf, ob ein Medikament individuell für den einzelnen Patienten hergestellt wurde oder ob es sich um ein Fertigarzneimittel handelt. Beim Kriterium der Unentbehrlichkeit eines Medikaments für den Therapieerfolg ist auf die Entscheidung des behandelnden Arztes abzustellen.
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